Pressemitteilung - Lichtwiesenbahn: Wie wirken sich Schätzfehler aus? FDP mahnt Sensitivitätsanalyse zum Nutzen-Kosten-Gutachten an

(Pressemitteilung)

Lichtwiesenbahn: Wie wirken sich Schätzfehler aus?

FDP mahnt Sensitivitätsanalyse zum Nutzen-Kosten-Gutachten an

 

Dreh- und Angelpunkt beim Streit über die geplante Lichtwiesenbahn ist die Frage, ob der gesamtwirtschaftliche Nutzen höher ist als die Kosten. In einer Nutzen-Kosten-Untersuchung, die das Zentrum für integrierte Verkehrssysteme (ZIV) im Auftrag der HEAG Mobilo GmbH erstellt und Anfang 2016 vorgelegt hat, waren die Nutzeneffekte mit rund 773 Tausend Euro pro Jahr quantifiziert worden, denen aufs Jahr gerechnet Kosten von 467 Tausend Euro gegenüberstehen. Die Nutzen-Kosten-Relation lag nach diesen Berechnungen bei 1,66, was bedeutet, dass der monetär bewertete gesamtwirtschaftliche Nutzen der Lichtwiesenbahn die Kosten um 66 Prozent übersteigt.

 

Nachdem als Investitionssumme für das Vorhaben nicht mehr nur 12,6 Millionen Euro veranschlagt werden müssen, wie es 2016 für das Gutachten noch angenommen worden war, sondern wohl eher ein Betrag von über 20 Millionen Euro, verlangt die FDP nun mit einer Anfrage an den Magistrat generelle Auskunft, wie sich Änderungen gegenüber den seinerzeit für die Nutzen-Kosten-Untersuchung getroffenen Annahmen auf das Ergebnis auswirken. FDP-Stadtverordnete Dr. Ursula Blaum: „Da keine gemessenen Werte, sondern Werte in der Zukunft angesetzt wurden, basiert die Untersuchung zwangsläufig weitgehend auf Annahmen und Schätzungen. Zu jeder Nutzen-Kosten-Untersuchung gehört deshalb immer auch eine Sensitivitätsanalyse, die zeigt, wie sich das Ergebnis ändert, wenn die angenommenen Einzelwerte um einen bestimmten Prozentsatz verfehlt werden.“ Eine solche Sensitivitätsanalyse habe der Magistrat bisher nicht vorgelegt, obwohl auch die Verfahrensvorschriften zur Landes- und zur Bundeshaushaltsordnung dies verlangten.

 

In ihrem Fragenkatalog an den Magistrat begehren die Freien Demokraten nicht nur Auskunft darüber, um wieviel Euro nach der neuesten Kostenschatzung der Gesamtwert des Nutzens pro Jahr denn überhaupt noch über den jährlichen Kosten liegt, sondern auch wie sich das Ergebnis erneut ändern würde, wenn es bis zur Realisierung des Vorhabens zu einer Kostensteigerung um weitere fünf Prozent käme. Ebenso wollen sie wissen, wie es sich auf der Nutzenseite auswirkt, wenn die Einsparungen bei den Pkw-Betriebskosten, die CO2-Einsparungen im Autoverkehr oder die Reisezeitverkürzungen im öffentlichen Verkehr nicht in der angenommenen Höhe erreicht werden.

 

 

Allein die Reisezeitverkürzungen im öffentlichen Verkehr, die mit 32.000 Stunden pro Jahr geschätzt und bei erwachsenen Fahrgästen mit 7,50 Euro pro Stunde bewertet wurden, machten mehr als ein Viertel des errechneten Gesamtnutzens aus. „Was ist, wenn in Wirklichkeit 10 Prozent weniger Reisezeit eingespart würden als von den Gutachtern angenommen,“ fragt Ursula Blaum.

 

Auskunft möchte die FDP auch dazu bekommen, um wieviel sich die Reisezeit im motorisierten Individualverkehr auf der stark frequentierten Nieder-Ramstädter Straße in der Summe pro Jahr verlängert, weil es für die am Lichtwiesenweg abbiegenden Straßenbahnen für den Autoverkehr mehr Rotphasen an der Ampel geben wird. Dieser Aspekt, der den Gesamtnutzen reduziert, sei in der Untersuchung gar nicht berücksichtigt worden, moniert Blaum.

 

„Mit der Anfrage an den Magistrat wollen wir zur Versachlichung der Diskussion beitragen,“ betont FDP-Fraktionsvorsitzender Sven Beißwenger. Auch der Magistrat tue sich keinen Gefallen, wenn er der Stadtverordnetenversammlung die Sensitivität der Nutzen- und Kostenabschätzung nicht offen darlege, „sondern mit einer Augen-zu-Mentalität steif behaupte, der Nutzen sei auf jeden Fall höher als die Kosten,“ so Beißwenger. Nur wenn mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wirklich ausgeschlossen werden könne, dass der Nutzen der Lichtwiesenbahn geringer ist als die Kosten, sei das Projekt noch zu vertreten. „Nichts wäre peinlicher, als wenn fünf Jahre nach dem Bau der Bahn der Magistrat im Rahmen einer Erfolgskontrolle einräumen müsste, die tatsächlich erreichte Nutzen-Kosten-Differenz sei negativ,“ mahnt Beißwenger.

 

 

Anlage:

 

Große Anfrage der FDP-Stadtverordneten Dr. Ursula Blaum und Sven Beißwenger betreffend Sensitivitätsanalyse zur Nutzen-Kosten-Untersuchung Lichtwiesenbahn

(SB)(UB)

Große Anfrage der FDP-Stadtverordneten Dr. Ursula Blaum und Sven Beißwenger betreffend Sensitivitätsanalyse zur Nutzen-Kosten-Untersuchung Lichtwiesenbahn

Vorbemerkung der Fragesteller

 

 

 

Zum Projekt einer Straßenbahnlinie auf die Lichtwiese wurde im Auftrag der HEAG Mobilo GmbH vom Zentrum für integriere Verkehrssysteme (ZIV) eine gesamtwirtschaftliche Nutzen-Kosten-Untersuchung erstellt und Anfang 2016 vorgelegt.

 

 

 

Eine Nutzen-Kosten-Untersuchung, die sich auf ein noch nicht realisiertes Vorhaben bezieht, kann keine gemessenen Werte abbilden, sondern bildet Werte in der Zukunft ab. Sie basiert sowohl bei den Kosten als auch bei den Werten für die Nutzenindikatoren somit zwangsläufig weitgehend auf Annahmen und Abschätzungen. Deshalb gehört zu einer Nutzen-Kosten-Untersuchung immer auch eine Sensitivitätsanalyse bei der es darum geht zu zeigen, wie mögliche Änderungen gegenüber den für die Analyse verwendeten Indikatorenwerten das Ergebnis der Untersuchung verändern.

 

 

 

Dass es erforderlich ist, eine Nutzen-Kosten-Untersuchung um eine Sensitvitätsanalyse zu ergänzen, ergibt sich auch aus der Arbeitsanleitung des Bundesministers der Finanzen, auf welche die Verwaltungsvorschriften zu Paragraf 7 der Landeshaushaushaltsordnung ausdrücklich Bezug nehmen. (Siehe http://www.olev.de/w/BMF-Arbeitsanleitung.pdf, Seite 27 f., und https://service.hessen.de/html/files/VV_zu_7_LHO.pdf, Nr. 2.4.)

 

 

 

In der Sensitivitätsanalyse wird üblicherweise festgestellt, wie sich Veränderungen bei einem einzelnen in der Untersuchung verwendeten Indikatorwert auf das Gesamtergebnis auswirken. Zusätzlich können in einer Szenarienanalyse auch Kombinationen der optimistischen und der pessimistischen Werte durchgespielt werden (Best-Case- und Worst-Case-Szenarien.)

 

 

 

Auch kann für die einzelnen Variablen der sogenannte Umschlagwert ermittelt werden, das ist der Variablenwert, bei dem der Wert des Gesamtnutzens und der Wert der Gesamtkosten gleich hoch sind und bei dem also die Nutzen-Kosten-Relation (der sog. Nutzen-Kosten-Indikator) genau 1 wird.

 

 

 

In der vom KIV vorgelegten Nutzen-Kosten-Untersuchung für die Lichtwiesenbahn wurden u. a. Annahmen getroffen bezüglich der von den Benutzern des öffentlichen Verkehrs eingesparten Reisezeiten. Die eingesparten Reisezeiten wurden als Nutzen bewertet und bei Schülern mit 2 Euro pro Stunde sowie bei Erwachsenen mit 7,50 Euro pro Stunde monetarisiert. Die Verlängerung der Reisezeiten von Benutzern des motorisierten Individualverkehrs durch vermehrte Haltezeiten an der Kreuzung des Lichtwiesenwegs mit der stark frequentierten Nieder-Ramstädter Straße infolge der im 7,5-Minuten-Takt querenden Straßenbahnen blieben hingegen in der Untersuchung gänzlich unberücksichtigt.

 

 

 

Dies vorausgeschickt fragen wir den Magistrat:

1.       Welche Gesamtsummen der Investitionen werden mittlerweile für das Vorhaben im Falle seiner Durchführung (sog. Mit-Fall) und im Falle seiner Nicht-Durchführung (sog. Ohne-Fall) als realistisch nach aktuellem Preisstand unterstellt?

 

 

2.       Welche Jahreskostenbeträge (Kapitaldienst pro Jahr für die ortsfeste Infrastruktur im öffentlichen Verkehr im Mit-Fall und im Ohne-Fall) sind mithin anstelle der in der ZIV-Untersuchung noch angenommenen Beträge (rund 467 bzw. rund 11 Tausend Euro pro Jahr) aus heutiger Sicht anzusetzen?

 

 

3.       Auf welchen Betrag ändert sich dadurch die Differenz zwischen Nutzen und Kosten gegenüber dem in der Untersuchung noch angegebenen positiven Differenzbetrag von rund 306 Tausend Euro per annum aus heutiger Sicht?

 

 

4.       Bei welchem Indikatorwert der Kosten p. a. würde das Gesamtergebnis der Untersuchung und die Differenz zwischen Nutzen und Kosten von einem positiven in einen negativen Betrag umschlagen (dies entspräche dann einem Umschlag des Nutzen-Kosten-Indikators von einem Wert über eins auf einen Wert unter eins) und welcher Gesamtinvestitionssumme entspräche dies nach aktuellem Preisstand?

 

 

5.       Um wieviel ändert sich die Differenz der Nutzen und Kosten p. a.noch zusätzlich, falls die Gesamtsumme der Investition über den jetzt angenommenen Betrag hinaus nochmals um weitere fünf Prozent ansteigen sollte?

 

 

6.       Um wieviel ändert sich die Differenz der Nutzen und Kosten p. a. jeweils, wenn der tatsächliche Wert der folgenden Nutzen-Teilindikatoren um 10 Prozent von dem in der Nutzen-Kosten-Untersuchung als Schätzung angenommenen Wert abweicht?

 

a)       Reisezeitdifferenz im öffentlichen Verkehr bei Erwachsenen
(bisher unterstellt: -31.928,67 Stunden/Jahr)

 

b)       Saldo der Pkw-Betriebskosten
(bisher unterstellt: -605.69 TEUR/Jahr)

 

c)        Saldo der CO2-Emissionen im motorisierten Individualverkehr
(bisher unterstellt : -523,81 t/Jahr)

 

 

7.       Wieviele Fahrzeuge und Personen des motorisierten Individualverkehrs nutzen die Nieder-Ramstädter Straße in Höhe der Kreuzung Lichtwiesenweg pro Jahr? (Schätzung auf Basis der letzten verfügbaren Verkehrszählungen.

 

 

8.       Wie lange ist die erforderliche Rotphase an der Ampel für den motorisierten Individualverkehr auf der Nieder-Ramstädter Straße jeweils, wenn eine Straßenbahn in den Lichtwiesenweg oder aus dem Lichtwiesenweg abbiegt?

 

 

9.       Welche Reisezeitdifferenzen ergeben sich nach den Antworten zu den Fragen 7 und 8 für die Personen im motorisierten Individualverkehr auf der Nieder-Ramstädter Straße infolge der zusätzlicher Rotphasen an der Ampel in Stunden pro Jahr und welcher monetär bewertete negative gesamtwirtschaftliche Nutzen entspricht dem in Tausend Euro pro Jahr?

 

 

 

 

10.   Worst-Case-Szenario: Wie hoch ist die Differenz der Nutzen und Kosten, wenn die Kosten um nochmals fünf Prozent höher ausfallen als aktuell geschätzt und sämtliche Teilindikatoren der Nutzenabschätzung jeweils um zehn Prozent ungünstiger ausfallen als unterstellt? Wie hoch ist in diesem Szenario dann der Nutzen-Kosten-Indikator?

 

 

11.   Best-Case-Szenrario: Wie hoch ist die Differenz der Nutzen und Kosten, wenn die aktuelle Kostenschätzung zu Grunde gelegt wird und falls sämtliche Teilindikatoren der Nutzenabschätzung jeweils um zehn Prozent günstiger ausfallen sollten als unterstellt? Wie hoch ist in diesem Szenario dann der Nutzen-Kosten-Indikator?

 

 

12.   Welchen zusätzlichen Risiken, die in der Nutzen-Kosten-Rechnung nicht quantitativ erfasst wurden (z. B. Verzögerungen durch Gerichtsverfahren, Unwetter u. dgl.), unterliegt das Vorhaben und wie sind diese zu bewerten?